Gott nicht verstehen ist kein Unverstand
Klaus Straßburg | 31/03/2023
Man muss nicht bei allem in die Tiefe gehen. Oftmals reicht es, ein oberflächliches Verständnis der Dinge zu haben.
Dies ist eine späte Einsicht des Rockmusikers Marius Müller-Westernhagen, die unter der Überschrift "Was ich gern früher gewusst hätte" jüngst im ZEIT MAGAZIN veröffentlicht wurde (Nr. 9 vom 23.03.2023, S. 62).
Eigentlich stehe ich Oberflächlichkeiten sehr skeptisch gegenüber. Dennoch glaube ich, dass die Einsicht Westernhagens richtig ist. Ein oberflächliches Verständnis einer Sache kann nämlich durchaus richtig sein – und ein tiefgehendes komplett falsch.
Es geht nämlich nicht nur darum, wie tief wir in eine Sache eindringen. Sondern es geht immer auch darum, von welchen Vorentscheidungen wir ausgehen und mit welchen Fragen wir an die Sache herangehen. Und wenn die Vorentscheidungen und Fragestellungen der Sache nicht entsprechen, kann man bohren, so tief man will – es wird nichts Lebensförderliches dabei herauskommen.
Dazu kommt noch, dass wir sowieso nicht von allen Dingen eine tiefe Erkenntnis haben können – dazu gibt es viel zu viele Dinge. Wir sind bei den meisten Dingen sozusagen auf Oberflächlichkeit angewiesen, um uns überhaupt ein Urteil bilden zu können.
Was das Verstehen Gottes betrifft, würde ich sagen: Wir können Gott nicht in all seinen Tiefen ausloten. Dazu ist er zu groß, zu unbegreiflich. Was wir von Gott begreifen, ist nach biblischer Vorstellung sowieso nicht auf unsern Mist gewachsen. Es ist uns vielmehr durch Gottes Geist vermittelt. Er allein "erforscht [...] die Tiefen der Gottheit" (1Kor 2,10) und gibt sie uns zu verstehen. Und was Gottes Geist uns zu verstehen gibt, das reicht aus. Mehr müssen wir gar nicht wissen.
Vor allem muss man als Christ nicht in die Tiefen der Forschung an den biblischen Texten einsteigen, um etwas von Gott zu verstehen. Diese Forschung dient zwar dazu, die Texte zu verstehen und uns vor Missverständnissen zu schützen. Aber eine noch so gute Forschung kann keine richtige Gotteserkenntnis garantieren. Auch hier gilt: Es ist Gottes Geist, der uns "in die ganze Wahrheit leitet" (Joh 16,13).
Eine weitere interessante Einsicht Westernhagens war übrigens:
Menschen werden in dem Moment alt, in dem sie sich dazu entschließen, alt zu sein. Trotzdem sollte man kein Berufsjugendlicher werden!
Ich finde auch diese Einsicht im Prinzip richtig – wenn man einmal vom Altwerden durch Krankheit absieht. Man kann eben vorzeitig im Dazulernen und Verstehen alt werden, wenn man sich dazu entschließt, dass man nichts mehr dazulernen und verstehen will. Das könnte man dann so formulieren:
Menschen werden in dem Moment unverständig, in dem sie sich dazu entschließen, unverständig zu sein. Trotzdem sollte man kein Alles-Versteher werden!
Das gilt auch für das Verstehen der biblischen Texte und überhaupt für jede Glaubenseinsicht. Einem solchen Verstehensverweigerer steht der Alles-Versteher gegenüber. Damit meine ich jemanden, der in der Illusion lebt, er würde in Glaubensdingen alles verstehen und sei immer im Recht. Eine solche Einstellung macht überheblich – und verhindert dann ebenso wie beim Verstehensverweigerer das Dazulernen.
Wenn jemand sich dem Verstehen in Glaubensdingen verschließt, spricht die Bibel davon, dass er den Geist Gottes "auslösche" (1Thess 5,19). Das klingt nicht gut: Das "Feuer" des Geistes, das uns erleuchten will, wird ausgelöscht. Gottes Geist – und mit ihm Gott selbst – wird unwirksam gemacht, so dass er uns nicht zum Verstehen anleiten kann. Das sollten wir auf jeden Fall vermeiden. Denn so klein unser Verstehen auch sein mag – was uns der Geist erkennen lässt, reicht für ein gutes Leben.
Ich weiß nicht, ob Marius Müller-Westernhagen auch an Glaubensdinge gedacht hat, als er seine späten Einsichten formulierte. Aber er hat in seinen Liedern immer wieder vom guten Leben gesungen – von Liebe, Glück und Freiheit. Die Freiheit war ihm sogar "das einzige, was zählt".
Die Freiheit ist in der Tat etwas Entscheidendes für ein glückliches und gutes Leben. Das gilt auch für die Freiheit, sich mit dem zufrieden zu geben, was wir an Gott verstehen – und das übrige auf sich beruhen zu lassen. Paulus hat dazu etwas sehr Bedenkenswertes gesagt (2Kor 3,17):
Wo der Geist des Herrn ist [also der Geist, der uns Gott zu verstehen gibt] – da ist Freiheit.
* * * * *
Foto: Deborah Windham auf Pixabay.
Kann der intelligenteste Floh den intelligentesten Menschen verstehen?
Warum muss der intelligenteste Floh überhaupt den intelligentesten Menschen verstehen,
wenn jener ihm ohnehin unglaublich und unverständlich weit überlegen ist.
Kann es nicht sein, dass die Herausforderung darin besteht in den Endlichkeiten aus den Irrtürmern demütig zu lernen?
Kann es sein, dass es darum geht den Weg des Gutem durch weises Glauben und Vertrauen zu erlernen?
danke für deine beiden Fragen, die das, was ich sagen wollte, noch mal veranschaulichen. Ich würde beide Fragen mit Ja beantworten. Trotzdem geht es ohne ein Minimum des Verstehens nicht. Denn man muss schon wissen, wem man vertraut und worin die Irrtümer bestehen. Aber wir müssen nicht über das, was uns nötig und möglich ist, hinaus verstehen wollen.