Gott ist sauer
Wie wir ihn zum Lächeln bringen
Klaus Straßburg | 02/07/2024
An einem alten Bahnhofsgebäude fand ich die auf dem Foto gezeigte Inschrift, mit weißer Kreide geschrieben: "Gott → sauer" stand da. Ich musste unwillkürlich schmunzeln.
Da hat jemand etwas kurz und prägnant in unserer Alltagssprache mit zwei Wörtern und einem Pfeil zum Ausdruck gebracht. So, dass es jeder verstehen kann.
Ich habe die Inschrift spontan so gedeutet: Gott ist sauer. Später wurde mir klar, dass man den Pfeil auch so deuten kann, dass er nicht auf einen Gemütszustand Gottes hinweist, sondern auf eine Wirksamkeit Gottes. Dann würde der Schreiber meinen: Gott bewirkt Sauersein. Gott macht sauer. Wahrscheinlich den, der das an die Wand gekritzelt hat.
Dass wir manchmal sauer auf Gott sind, ist keine Frage. Die Frage ist aber, ob der Fehler bei Gott liegt oder bei uns. Darüber müsste man dann mal nachdenken.
Bleiben wir aber jetzt mal bei der Aussage "Gott ist sauer". Mit dem Wort "sauer" hatte ich Gottes Gemütszustand noch nie in Verbindung gebracht.
Gott ist sauer - das ist nun sicher eine sehr menschliche Aussage. Aber wir sind nun mal Menschen und können deshalb auch nur menschlich über Gott denken. Und Gott kann sich sehr gut durch menschliche Gedanken und Wörter zur Sprache bringen. Er wurde ja schließlich in Jesus Christus selbst ein Mensch.
Darum spricht auch die Bibel sehr menschlich von Gott, wenngleich sie manchmal andere Begriffe benutzt als wir heute. Sie würde vielleicht statt "Gott ist sauer" sagen: "Gott ist zornig". Aber unsere Sprache ist nicht mehr in jedem Fall die biblische. Und manches wird klarer, wenn wir es in unserer heutigen Sprache ausdrücken.
Greifen wir das also mal auf: Gott ist sauer. Da fragt sich sofort: Warum ist er sauer?
Vielleicht denken jetzt manche, Gott sei sauer, weil wir ihn nicht genug als Gott verehrt haben. Ich finde das etwas schwierig.
Ich denke nämlich, dass Gott keiner ist, der nach Verehrung lechzt. Auch wenn er sicher alle Verehrung verdient hat und es deshalb überhaupt nicht lustig findet, wenn seine lieben Kinder ihn wieder mal ignorieren. Aber Gott braucht uns nicht. Darum sitzt er nicht beleidigt und schmollend in der Ecke, weil wir ihm die Verehrung versagt haben.
Ich denke, Gott ist aus ganz anderen Gründen sauer. Er ist sauer, weil seine lieben Kinder ihren Nächsten so viel Leid zufügen. Er liebt ja schließlich jedes seiner Geschöpfe und nicht nur die, die sich für liebenswert halten. Oder die sich für tolle Christen halten. Oder die meinen, sie würden viel Gutes tun.
Nein, Gott liebt vor allem diejenigen, denen übel mitgespielt wird. Und für die ist er voller Mitleid.
Wenn wir sehen, dass jemandem Leid zufügt wird, den wir lieben, sind wir auch sauer auf den Übeltäter. Und wir blasen ihm mal richtig den Marsch, um die Qual des anderen zu beenden.
Das tut Gott auch. Es müssen ja nicht gleich die sieben Posaunen aus der Offenbarung sein, die Gott bläst (Offb 8; 9; 11,15-19). Aber er ist sauer und lässt den Übeltätern ihre Taten nicht auf die Dauer durchgehen.
Da stellt sich natürlich sofort die Frage, wer denn die Übeltäter sind. Die Frage wird ja auch schon an prominenter Stelle im Neuen Testament gestellt: "Herr, bin ich's?" fragen Jesu Jünger, also die Frömmsten der Frommen, als Jesus ihnen eröffnet, dass einer von ihnen ihn verraten wird (Mt 26,22)
Wir fühlen uns ja normalerweise nicht als Übeltäter. Wir machen zwar auch Fehler, und das tut uns dann ja auch wirklich leid – manchmal jedenfalls. Und zuweilen entschuldigen wir uns ja auch bei denen, die wir verletzt haben.
Aber wir haben noch niemanden ermordet, wir stehlen nicht und betrügen nicht, wir reden nichts Falsches über andere, wir begehren nicht, was dem anderen gehört, und Ehebruch betreiben wir in der Regel auch nicht.
Nun ja, die Bergpredigt Jesu blenden wir jetzt gerade mal aus, denn die ist ja, sagen manche Theologen, sowieso nicht erfüllbar.
Jedenfalls ist Gott sauer. Und zwar zu recht. Gründe gibt es sicher viele. Ich möchte hier nur beispielhaft einen herausstellen.
Gerade passiert etwas sehr Seltsames: Wir Menschen – also doch auch du und ich – wir machen gerade etwas, was lebendige Wesen wirklich nicht tun sollten: Wir fressen unseren Nachwuchs. Wenn Tiere das tun, sind wir ganz entsetzt über diese Grausamkeit. Um besser damit umgehen zu können, entwickeln Forscher dann schleunigst Theorien zu der Frage, warum Tiere so grausam sind. Das muss doch irgendeinen einsehbaren Grund haben, oder?
Nun tun wir aber dasselbe, wenn auch auf andere Art als die Tiere. Ich meine damit: Wir leben auf Kosten der kommenden Generationen. Wir rauben ihnen die Lebensmöglichkeiten und riskieren damit den Fortbestand der Gattung Mensch. Und wir tun das nicht aus irgendeinem Instinkt heraus wie die Tiere, sondern wir tun es, obwohl wir schon seit Jahrzehnten wissen, was wir tun – so blöd muss man erst mal sein.
Haben wir einen einsehbaren Grund dafür, das zu tun? Äh – es fällt mir schwer, einen zu finden. Der einzige Grund, warum wir das tun, besteht nämlich darin, dass wir unser Leben nicht ändern wollen. Wir opfern unseren Nachwuchs also unserem Lebensstil. Und das ist nun wirklich überhaupt nicht einsehbar.
Gott ist also zu recht sauer. Er hat schon jetzt Mitleid mit denen, die in den kommenden Jahrzehnten leben werden und unsere Übeltaten ausbaden müssen. Und er tut, was auch wir tun, wenn wir einen Übeltäter beobachten: Gott bläst uns den Marsch, damit wir auf den rechten Weg zurückfinden.
Schade, dass wir immer erst dann bereit sind, etwas zu verändern, wenn wir ordentlich Contra kriegen. Ein paar Überschwemmungen, Hagelschauer und Tornados in Mittelhessen reichen bei weitem nicht. Wir sind ja meistens nicht davon betroffen. Und die Umsiedlung der Bevölkerung von irgendwelchen kleinen Inseln in der Südsee aufs Festland berührt uns schon gar nicht.
Da muss es schon härter kommen, damit wir uns wirklich ändern: Wir müssen den Karren erst an die Wand fahren. Nur dass es diesmal kein Karren ist, sondern unser Planet. Zuerst also fahren wir den Planeten Erde an die Wand. Dann verändern wir vielleicht etwas – wenn das dann noch möglich ist. Auch ein Stück Blödheit des Menschen, der sich so gern vernunftbegabt nennt.
Wir können also die göttlichen Winke mit dem Zaunpfahl gut ignorieren. Wir sind ja Meister darin, uns selbst zu entschuldigen und alles Böse von uns zu weisen. Aber das ändert nichts daran, dass Gott sauer auf uns ist. Vielleicht ist er, weil wir uns immer wieder herauszureden versuchen, sogar stocksauer.
Dabei hat das Ganze ja auch etwas Gutes: Jeder Wink Gottes bietet die Möglichkeit, es in Zukunft besser zu machen. Wir müssen es nur wollen.
Gottes Sauersein sollte uns also keine Angst vor Gott machen, sondern vor uns selbst. Denn auch wenn Gott sauer ist, meint er es gut mit uns. Und die einzige angemessene Antwort auf Gottes Sauersein besteht darin, unser Leben zu ändern. Die Bibel redet vom Umkehren.
Vom Umkehren wird in der christlichen Community auch gern geredet. Gemeint sind damit aber immer die anderen. Man selbst ist ja schon umgekehrt. Das ist dann eine besonders fiese Ausrede: Ich bin ja schon auf dem richtigen Weg und hab's nicht nötig, etwas an meinem Leben zu verändern.
Also lasst uns alle Ausreden aufgeben, unsere Schuld eingestehen, unseren Lebensstil verändern und Gott ein Lächeln auf die Lippen zaubern: Endlich wieder einer mehr, der umgekehrt ist. Und mit Gott lächelt das ganze Himmelreich (Lk 15,7).
* * * * *
Foto: Klaus Straßburg.
Danke für diesen schönen, inspirierenden Text...😉😊
Mit herzlichen Grüssen
Michael
in meinem Arbeitszimmer hängt folgender Segensspruch, der mich auch immer wieder in meiner Arbeit als Naturwissenschaftler neu motiviert:
"Gott, du Schöpfer aller Dinge,
du hast uns Menschen die Welt anvertraut und willst dass wir ihre Kräfte nutzen.
Aus dem Reichtum deiner Liebe schenkst du uns die Früchte der Erde: den Ertrag aus Garten und Acker, Weinberg und Wald,
damit wir mit frohem und dankbaren Herzen dir dienen.
Erhöre unser Gebet: Halte Blitz, Hagel, Überschwemmung und Dürre, Frost und alles was uns schadet , von uns fern. [..]
Und der Segen des treuen und allmächtigen Gottes, des Vaters des Sohnes und des Heiligen Geistes, komme auf euch herab und auf eure Arbeit, auf das Werk eurer Hände und eures Geistes, auf eure Familien und Kinder, auf Alte und Junge, Gesunde und Kranke, und sein Segen bleibe bei euch alles Zeit. Amen."
Diese moderne Sichtweise ("wir fressen unseren Nachwuchs") ist m. E. typisch für die moderne Weltsicht, die eine Spaltung zwischen uns und den nachfolgenden Generationen konstruieren will. Dabei sind das doch unsere Kinder und Enkel, Urenkel usw.
Ferner: wenn Menschen mehr wert als Spatzen sind (Mt. 10, 29-33), dann sind sie auch mehr wert als die Luft, die sie atmen, das Wasser, das sie trinken, die Wärme aus ihrer Heizung. Es mag sinnvoll sein, mit Ressourcen sinnvoll umzugehen, aber eine radikale Vermeidungsethik, wie sie teilweise von grünen Politikern wie Kretschmann vorgetragen wird, ist m. E. nicht christlich.
ich finde, der Segensspruch bring schön zum Ausdruck, dass wir Verantwortung für Gottes Schöpfung haben. Dazu kann auch die Wissenschaft beitragen. Und die Wissenschaft sagt uns doch auch, dass wir mit den uns gegebenen Ressourcen schon seit Jahrzehnten so umgehen, dass die nachfolgenden Generationen darunter werden leiden müssen. Darin sehe ich nichts durch eine moderne Weltsicht Konstruiertes, sondern Aussagen gegenwärtiger Naturwissenschaften. "Es mag sinnvoll sein, mit Ressourcen sinnvoll umzugehen"? - ich denke, es ist ein Erfordernis, wenn uns die Zukunft der Schöpfung und unserer Kinder und Kindeskinder etwas wert ist.
Was du mit "radikaler Vermeidungsethik" meinst, weiß ich nicht. Kretschmann kommt mir nicht als einer vor, der so etwas vorantreibt, hat er sich doch z.B. gegen ein Ende des Verbrennungsmotors ausgesprochen. Andererseits sollte ethisch verantwortungsvolles Handeln alles vermeiden, was andere schädigt. Im 20. Jahrhundert wurde mehr Energie verbraucht als währende der kompletten Menschheitsgeschichte davor. Die Wirtschaftsleistung stieg um das Vierzehnfache, die industrielle Produktion um das Vierzigfache. Und es ist doch klar: In einer endlichen Welt kann es keinen unendlichen Konsum, keine unendliche Produktion geben. Wir agieren, als lebten wir in einer grenzenlosen Welt, die uns mit ewigen Gütern zur Verfügung steht – als wären wir Götter. Das ist für mich eine christliche Sichtweise, keine moderne. Die Moderne oder auch Postmoderne hat das selbstbezogene Handeln des sich frei fühlenden Menschen in einer Weise ermöglicht, dass nicht nur die Gegenwärtigen, sondern auch die Zukünftigen die Lasten dieses Handelns tragen müssen.
Ich kann mir nicht vorstellen, dass du mit Mt 10,29-33 sagen willst, unser Handeln sei irrelevant, weil ja kein Mensch ohne Gottes Willen sterben wird. Das würde ja jede christliche Ethik unterlaufen. Und in Vers 32f wird ja ausdrücklich auf unser Bekennen und gegen das Verleugnen Bezug genommen. Wir bekennen Christus aber mit Wort und Tat, und wir verleugnen ihn mit Wort und Tat. Wir sollen uns sicher nicht in Sorgen und Grämen ergehen, sondern alles Gott anvertrauen. Aber wir sollen auch Vorsorge treffen - für uns und die nach uns Kommenden. Ich denke, ohne dir etwas unterstellen zu wollen, dass wir in diesem Punkt einig sind.
warum die Worte an eine Türschwelle eines Wohnungsinhabers? Was ist das Ziel solcher öffentlichen Worte? Gibt es dafür keinen Briefkasten oder ein Gespräch oder ein Schild oder Papier an der Tür ...?
wer ist der Schreiber? Der Wohnungsinhaber selbst ... ein Aussenstehender des Wohnungsinhaber?
es ist keine Türschwelle, sondern ein Fenstersims an einem alten, unbewohnten Bahnhof. Der Schreiber bleibt anonym. Was sein Ziel war, ist Spekulation. Eigene Erfahrung? Kritik an Gott? Eine Botschaft an die Passanten? ... Mich hat es jedenfalls inspiriert, weil es vielleicht besser trifft, was wir sonst mit dem Reden von einem zornigen Gott ausdrücken.
die Frage ist, wieviel (oder alles?) von unserem Leben wir den nachfolgenden Generationen unterordnen sollten. Der moderne sog. "Longtermism" schätzt den Wert der heute lebenden Menschen geringer ein, weshalb sie all ihr Handeln den Verbesserungen der Zukunft unterordnen sollen. Mit etwas Ironie könnte man sagen, dass all die Zukunftsverbesserungen etwa durch Digitalisierung (-smart home-) tendenziell mehr Energie benötigen werden als heute. Ich bin für das Einfache, und ich bin für das Freiwillige, und wie Du für mehr Gottvertrauen. Viele Menschen verbrauchen ohnehin weniger Ressourcen, weil sie sparsam leben. Aber schalte ich heute im Winter die Heizung aus und schade mir selbst, damit künftige Generationen ein besseres Leben haben, zumal die Ursächlichkeit eher abstrakt ist?
Vor nicht allzulanger Zeit gab Kretschmann der Bevölkerung den Rat, sie solle weniger duschen und heizen, um Energie und Wasser zu sparen. Das halte ich für ein Beispiel für radikale Vermeidungsethik, radikal, weil sie ins Existentielle des Menschen eingreifen will.
Wenn du für das Einfache bist, dann passt das ja eigentlich ganz gut zu einem einfachen Leben, in dem man sich auf das Wesentliche beschränkt, und das Wesentliche kann doch nicht ein uferloser Konsum und eine endlose Produktionssteigerung in einer endlichen Welt sein. Im Übrigen gibt es auch sehr positive Entwicklungen, wie in der gestrigen ZEIT zu lesen ist.
einfach wäre es genau dann wenn es wie gesagt freiwillig bleibt. Denn staatlich unterbundenen Überkonsum, Einheits-PKWs (=Trabant) und keine Reisefreiheit hatten wir schon mal in Deutschland-Ost. Das will ich jedenfalls nicht, und davor würde ich vielleicht schon fliehen.
Aber weil ich nicht immer nur kritisieren will, will ich folgende Situation schildern, die ich kürzlich erlebt habe:
Ich stehe auf dem Parkplatz der Arzt-Praxis irgendwo im Osten Deutschlands. Meine Frau hat dort einen Termin, ich bin der Chauffeur. Es fährt ein älterer Herr vor in einem Opel Kombi-Mittelklassewagen. Durch die heruntergedrehten Scheiben kommen wir schnell ins Gespräch: er sagt er ist 89 Jahre alt, fährt aber immer noch Auto. Jetzt will er sehen, ob seine Frau in der Praxis ihren Termin schon hinter sich hat, steigt aus und geht in die Praxis. Nach einiger Zeit kommen beide zurück. Er sagt mir mit einem gewissen Strahlen, "wir hauen jetzt beide ab!". Wohl weil mich mein schwäbischer Akzent als Wessi verraten hat, schiebt er gleich hinterher: Wenn er das damals so offen gesagt hätte, dann hätte er Schwierigkeiten mit der Stasi gekriegt.
Ich denke schon dass dieser alte Mann seine Freiheit schätzt und über seine Mobilität definiert. Solche Gespräche erlebe ich immer wieder. Ich finde ich kann davon sehr viel lernen, insbesondere, dass man im Osten eine ganz andere Sensibilität für gesellschaftliche Entwicklungen hat.
es geht auch mir um freiwilligen Verzicht auf das, was unnötig ist, und sicher auch auf etwas Bequemlichkeit - um in freiwilliges Umdenken und Umkehren. Dazu aber müsste sich unsere ganze Kultur wandeln, die man als eine "Leitkultur des Verbrauchs und der Verschwendung" (Harald Welzer) bezeichnen kann. Die diktatorischen Staaten, die DDR eingeschlossen, zeichneten und zeichnen sich ja nicht gerade dadurch aus, dass sie in Sachen Nachhaltigkeit vorbildlich waren bzw. sind. Von daher ist Freiwilligkeit der beste Weg.
Ich frage mich allerdings auch, was man tun soll, wenn sich diese Freiwilligkeit partout nicht einstellt und nicht einmal die politisch Verantwortlichen den Ernst der Lage erkannt zu haben scheinen. Soll man dann der Geschichte seinen Lauf lassen, mit allen Folgen, die das nach sich zieht? Als Christinnen und Christen haben wir sicher das Gebet, die größte Macht auf Erden. Und wir können auf Gott hoffen, müssen deshalb die Hoffnung nie aufgeben. Aber wir sollten uns schon fragen, was wir selbst noch tun können, wie wir andere durch Wort und Tat überzeugen können, freiwillig einen anderen Weg einzuschlagen. Wie der christliche Glaube nur freiwillig echter Glaube ist, so auch das christliche Handeln. Und wenn sich die Christenheit in dieser Sache einig wäre und ihr kritisches Wort, gepaart mit vorbildlichem Verhalten, laut und deutlich erheben würde, anstatt der herrschenden Meinung hinterherzuhinken, dann wäre wohl schon ein deutliches Zeichen gesetzt, das viele Menschen mitreißen könnte. Aber dies sehe ich nicht, und deshalb macht sich die Christenheit einmal mehr mitschuldig. Denn derjenigen, die kritisch, lautstark und nicht nachlassend auch den Konflikt mit der herrschenden Politik nicht scheuen, sind nur sehr wenige.
Ich bleibe trotz allem optimistisch - nicht, weil ich von den Menschen noch etwas erwarte, sondern weil ich von Gott alles erwarte. Gerade auch das, was wir nicht zustande bringen.
Der Sozialpsychologe Harald Welzer hat darauf hingewiesen, dass Menschen von unbewussten kulturellen Mustern geleitet werden, in denen sie von klein auf gelernt haben, die Welt wahrzunehmen und zu deuten. Sie sind ihnen sozusagen in Fleisch und Blut übergegangen und werden deshalb gar nicht hinterfragt. Insofern beruht ihr Handeln nur zum verschwindend kleinen Teil auf bewussten rationalen Entscheidungen; der größte Teil ist von Verhaltensmustern geprägt, die auf erlernten und unbewussten Gefühls-, Erwartungs- und Verhaltensstandards beruhen. Und zu solchen Standards gehört offensichtlich noch nicht ein nachhaltiges Leben. Darum ist eine im gesellschaftlichen Fühlen breit verankerte Kultur der Nachhaltigkeit so wichtig. Die kann sich aber nur dann entwickeln, wenn der Staat und viele gesellschaftlich relevante Akteure (Kirchen, Gewerkschaften, NGO's, Wissenschaft, ...) sich aktiv dafür einsetzen und diese Kultur praktizieren. Behutsame (nicht mit der Brechstange angeordnete) staatliche Vorgaben sind dabei nicht ausgeschlossen.
Ohne schmerzhafte Veränderungen für manche wird es dabei nicht abgehen. Denn es gibt mächtige wirtschaftliche Interessen, die nichts anderes wollen, als ihre Pfründe zu bewahren. Möglicherweise müsste sogar unser Wirtschaftssystem, das ohne "Wachstum" nicht existieren kann, behutsam umgebaut werden - nicht zu einem kommunistischen, aber zu einer Postwachstumsökonomie. Diese Umbaumaßnahmen stellen sich aber nicht von selbst oder freiwillig ein, sondern müssen gegen diejenigen, die alles beim Alten lassen wollen, weil sie davon profitieren, erkämpft werden - was wohl der Grund dafür ist, dass die Politik (auch die grüne) sich nicht an solche Veränderungen herantraut, sondern nur Veränderungen innerhalb des Systems durchzusetzen versucht - damit aber offensichtlich zu wenig erreicht.