Eine Person anderer Art
Klaus Straßburg | 13/06/2021
Das Virus fragt nicht danach, ob wir Urlaub machen oder feiern möchten. Es lässt nicht mit sich verhandeln. Es sucht sich einfach seinen Wirt. Es will sich nämlich vermehren. Es ist dabei so schlau, dass es einen Menschen erst dann krank macht, wenn er schon andere Menschen angesteckt hat. Andererseits ist es aber gar nicht schlau, wenn es den Wirt, von dem es lebt, tötet. Jedenfalls ist es gekommen, um zu bleiben.
Solche und ähnliche Sätze habe ich in den letzten Monaten zuhauf gehört. Wir sprechen von dem Virus, als sei es eine Person. Als habe es einen Willen, als sei es schlau oder auch nicht so schlau, als habe es Absichten. Aber das alles trifft für das Virus gar nicht zu.
Das Virus tut nur, was es unter bestimmten Bedingungen tun muss, weil es genetisch so programmiert ist. Es kann nicht anders. Es will nichts und sucht nichts. Es hat kein Ziel. Es ist weder schlau noch dumm, denn es hat kein Gehirn. Es hat auch kein Bewusstsein. Darum kann es sich nicht um irgendetwas kümmern oder nach irgendetwas suchen und fragen. Es hat überhaupt kein Wissen von seiner Umwelt.
Trotzdem habe ich mich dabei erwischt, auch so zu reden, als hätte das Virus Bewusstsein, Wissen und Wollen.
Warum reden wir so – sogar dann, wenn wir wissen, dass es nur eine bildliche, metaphorische Redeweise ist?
Wahrscheinlich weil wir uns das, was das Virus ist und tut, dann leichter vorstellen können. Bildliche, metaphorische Sprache hat offensichtlich ihr Recht.
Von Gott reden wir auch so, als sei er eine Person. Wir sagen, er habe einen Willen, er tue dies und das, er rede, frage, führe, liebe, kümmere sich. Die Bibel spricht sogar so menschlich von Gott, dass man es fast schon als Irrlehre bezeichnen kann: Er habe eine Hand, sitze auf einem Thron, habe ein Gewand an, habe ein Gesicht, sei zornig, gerecht und liebevoll. Ist es richtig, so von Gott zu reden?
Es ist sicher dann nicht richtig, wenn wir uns Gott als alten Mann mit Bart vorstellen, als Wesen mit einem Körper, Händen und Füßen. Oder als so etwas wie einen vollkommenen Menschen, dem alle menschlichen Mängel fehlen.
Wenn wir uns Gott so nicht vorstellen, dann können wir ruhig personal von Gott reden. Denn Gott hat ein Bewusstsein und einen Willen. Er handelt. Er kann lieben und für uns sorgen. Er ist wie ein Hirte oder wie die Sonne oder wie ein Fels. Wir reden metaphorisch: Gott hat kein Bewusstsein oder einen Willen wie wir, er handelt nicht wie wir, er liebt nicht wie wir. Er ist auch keine Sonne und kein Fels, aber wie eine Sonne und ein Fels.
Wenn wir so von Gott reden, reden wir mit menschlichen Worten von dem, der anders ist, als alle menschlichen Worte es beschreiben können.
Aber wir haben nur menschliche Worte. Andere stehen uns nicht zur Verfügung. Also müssen wir mit unseren menschlichen Worten von Gott reden. Die Alternative wäre nur, von Gott zu schweigen. Und das wäre die schlechteste Lösung.
Manche Menschen tun sich schwer damit, sich Gott als Person vorzustellen. Sie haben insofern recht damit, als Gott nicht so Person ist, wie wir Personen sind. Gott ist mehr als Person: Er ist zugleich eine Macht, eine Kraft. Er ist nicht nur einer, der liebt, sondern zugleich die Liebe selbst (1Joh 4,8.16). Er ist nicht Mann, er ist auch nicht Frau, aber er vereint in sich das, was wir mit männlichen und weiblichen Eigenschaften verbinden. Er ist eine Macht, eine Einflusssphäre, die über uns kommen kann. Aber er ist auch etwas, was wir nur von Personen kennen.
Wenn wir uns Gott nicht als Person vorstellen wollen, müssen wir ihn uns unpersönlich vorstellen. Er wäre dann eine willenlose Macht ohne Bewusstsein. Eine blinde Schicksalsmacht. Er wüsste nicht, was er bewirkt, weil er kein Bewusstsein und keine Absichten hätte. Er würde vielleicht einer Programmierung folgen wie das Virus. Aber er hätte kein Ziel dabei. Er würde keine Beziehung zu uns aufbauen, sich nicht um uns kümmern, uns nicht lieben. Er wäre eine anonyme, undurchdringliche Zufallsmacht.
Das wäre nicht der Gott, von dem die Bibel spricht. Es wäre nicht der christliche Gott. Die Bibel redet ganz unbefangen vom wollenden, handelnden, redenden, schweigenden, führenden, zürnenden, leidenden und liebenden Gott. Und wir dürfen auch so von ihm reden.
Es ist schon eigenartig: Von einem Virus reden wir ganz unwillkürlich, als habe es personale Eigenschaften, und niemand stört sich daran. Von Gott so zu reden, dass er auch personale Eigenschaften hat, fällt manchen Menschen hingegen schwer. Dabei hat er doch uns Menschen als Personen geschaffen! Sollte der Schöpfer da nicht selbst auch personale Eigenschaften haben?
Doch wenn wir von Gott als Person reden, müssen wir uns klarmachen: Gott ist nicht so Person, wie wir Personen sind. Er ist eine Person anderer Art. Und er ist zugleich eine Macht anderer Art. Aber eine Macht, die wirkt, in Beziehung steht, sich kundtut, voller Liebe ist und leiden kann.
Wie viel mehr ist dieser Gott als ein höchstes namenloses Wesen, eine anonyme Zufallsmacht ohne Worte, ohne Bewusstsein, ohne Willen, ohne Ziel und ohne Liebe.
Wie viel mehr ist dieser Gott!
* * * * *
mit Dankbarkeit und Freude las ich Ihre vorstehenden Erklärungen. Sie haben mir damit sehr weitergeholfen.
Herzliche Grüße,
Hans-Jürgen Caspar
vielen Dank für Ihre Rückmeldung. Ich freue mich sehr, Ihnen geholfen zu haben. Und Sie haben mir mit Ihrer Rückmeldung geholfen, die Wirkung meiner Texte besser einschätzen zu können.
Viele Grüße
Klaus Straßburg
an folgende beeindruckenden Worte erinnern:
5. Mose 4:15-31
Gott ist weit mehr als die Summe aller existierenden Medien, weil es die Information ist.
Eine strukturierte Information einer Persönlichkeit mit herrlichen Eigenschaften basierend auf lebendigen Werten.
Und wir Menschen ...
wir sind in dessen Bilde geschaffen, mache mehr ... und ... manche weniger (leider).
vieles wird "personalisiert": in der Religion, Wissenschaft, Kunst, Politik und im täglichen Leben.
Einiges davon habe ich hier zusammengetragen: http://www.hjcaspar.de/hpxp/gldateien/persona.htm.
Mit freundlichen Grüßen
Hans-Jürgen Caspar
Danke für die Erinnerung daran, dass Gott all unsere Vorstellungen von ihm übersteigt.
Danke für Ihren Beitrag zur Vielfalt personalisierten Redens. Leider lässt sich ein Text nicht mit dem Tastenkürzel Strg+C kopieren, sondern nur dann, wenn Sie in der Menüleiste Ihres Browsers z.B. "Bearbeiten > Kopieren" anklicken (falls Ihr Browser diese Funktion hat). Aber immerhin wird beim Klicken auf Ihren Namen jetzt Ihre Website aufgerufen. Eine Alternative zum Einfügen des Links zu Ihrem Artikel in den Kommentar wäre, ihn in die Zeile "Website im Internet" einzugeben und dann im Kommentartext darauf zu verweisen. Dann braucht man nur auf Ihren Namen zu klicken und kommt automatisch zu Ihrem Artikel.
metaphorische Sprache ist sogar in Form von Begriffen in die Chemie eingegangen. In der Welt der Aminosäuren, also den Grundbausteinen der Viren und Lebewesen, geschieht vieles offenbar aus Liebe, denn es gibt elektrophile (Elektronen liebend) und nukleophile (Kerne liebend) Moleküle. Man spricht sogar von "nukleophilen Attacken", das wäre dann ein Angriff aus Liebe, seltsame Liebe, nichts für Pazifisten ..
sehr interessant, wie metaphorisch sogar die Sprache der Wissenschaften ist (nicht nur der Theologie!). Steckt vielleicht sogar mehr dahinter? Nicht nur eine sprachliche Verlegenheit, sondern eine natürliche Tatsache? Wahrscheinlich sind elektrophile Moleküle zu Elektronen hingezogen und nukleophile zu Kernen. Und eine "Attacke" wäre dann vielleicht eine "leidenschaftliche" (wissenschaftlich gesagt: stark ausgeprägte) Annäherung eines Moleküls an ein Elektron bzw. einen Kern. Könnte es sein, dass die ganze Schöpfung auf Verbindungen aufbaut, auf Beziehungen, auf Einheitsstreben, auf Ganzheit, auch wenn das bei Molekülen nicht mit Gefühlen verbunden ist wie bei uns mit der Liebe?
ich folge Herrn Straßburgs Anregung von 16:00:48. Die von mir gemeinte Seite lässt sich jetzt direkt aufrufen durch Klick auf meinen unterstrichenen Namen.
H.-J. C.
aus meiner naturwissenschftlichen Sicht ist es lediglich metaphorische Sprache, die sich eingebürgert hat. In der theoretischen Chemie werden 'electrophilicity' und 'nucleophilicity' auf fundamentalere Prinzipien zurückgeführt. Dass da mehr dahintersteckt (als diese Prinzipien) ist jedenfalls kein Gegenstand der Naturwissenschaft, wäre also eher Naturphilosophie, also so in etwa wie 'De rerum natura' von Lukrez. Interessiert auch durch die Bemerkung auf Herrn Caspars Internet-Seite, wonach selbst der Zufall personalisiert werde, bin ich durch Nachschlagen von Lukrez' Gedicht und auch 'Carmina Burana' (O fortuna) zum Schluss gekommen, dass die heidnische Welt doch eigentlich ein viel größeres Problem mit dieser personalisierten Sprache hat als das Christentum. Lukrez, obwohl er Religion ablehnt, macht eine überschwängliche Anrufung an die Liebesgöttin Venus, da wirbelt alles getrieben von elementaren Trieben durcheinander. Da denk ich mir fast, dass jüdisch-christliche Lehre auch mit den ersten zwei Geboten, die wie eine Chorschranke wirken, nachgerade erst die reinigende Voraussetzung für präzise Naturwissenschaft und echte Theologie sein mussten - und weshalb viele Menschen in der Antike vom Judentum und dann vom Christentum angezogen wurden. Leider fürchte ich dass das mit voller Wucht in der neopaganen Zeit wieder zurück kommt. So wie Herr H.-J. Caspar schreibt: Animismus und Aberglaube sind in unserer Sprache irgendwie immer noch bzw. wieder fest verankert.
die "Chorschranke" der ersten beiden Gebote finde ich sehr wichtig, damit man die metaphorische Sprache nicht unwillkürlich in reale Vorstellungen überführt. Also: Kein Bild von Gott machen, aber dennoch bildlich von ihm reden, weil unsere Sprache und unser Denken so konstruiert sind. Aber warum benutzt die Naturwissenschaft metaphorische Sprache? Man könnte das doch auch anders ausdrücken, oder?
Animismus und Aberglaube wird es wohl immer geben, und Aberglauben gibt es manchmal sogar unter Christenmenschen. Jedenfalls ist der Weg vom Glauben zum Aberglauben gar nicht so weit, wie wir vielleicht denken.
tatsächlich ist es so, dass diese Begriffe "elektrophil" etc. von der IUPAC - sowas wie der Vatikan für die Chemie - als zulässiger Fachausdruck definiert wird. Man könnte es aber auch anders ausdrücken, so sprechen Halbleiter-Wissenschaftler gerne von "Donatoren" und "Akzeptoren" und meinen damit ziemlich das gleiche.
es scheint ja doch ohne Personalisierungen nicht zu funktionieren: Donatoren sind eben Geber (von lat. donator = Geber oder donare = geben, schenken, verleihen) und Akzeptoren sind Empfänger (von lat. acceptor = Empfänger oder accipere = empfangen, annehmen, übernehmen). Unsere Sprache ist eben durch und durch metaphorisch bzw. personal strukturiert, was ja vielleicht auch kein Wunder ist, weil wir alle Personen sind. Wir drücken Relationen von Molekülen zu anderen Teilchen in einer Sprache aus, die wir auch in den Relationen von Menschen zueinander verwenden. Das gilt nicht nur für die Chemie. Hans-Jürgen Caspar hat ja viele Beispiele auf seiner Website angeführt.