Dumm gelaufen ...
Klaus Straßburg | 17/07/2022
Viele Menschen sagen: An einen Gott, der so viel Leid zulässt, der sich das ganze Elend der Welt von oben ansieht und nichts dagegen tut, kann ich nicht glauben.
Dumm ist nur: Dieser Gott steht vor unserer Tür, klopft an, ruft, bittet um Einlass, möchte uns so verändern, dass wir selbst etwas tun gegen das Elend der Welt, will nicht von oben herab über das Geschick der Welt entscheiden, will nicht das tun, was zu tun unsere Sache wäre, steht darum vor unserer Tür, bittet um Gehör und darum, dass wir ihn unser Herz erweichen lassen, lässt sich nicht abwimmeln, klopft immer wieder, lockt, ruft und schreit, fleht um Erbarmen für die Welt, hält uns seine Liebe entgegen, die uns verwandeln würde, das Geschenk, das wir nur annehmen müssten, droht uns auch mit der Zukunft, die wir selber produzieren, malt den Teufel an die Wand, der wir selber sind, steht und wartet vergeblich, zieht traurig von dannen, zieht und kehrt zurück, wartet wieder, immer wieder, gibt die Welt nicht auf, gibt uns nicht auf, steht immer noch vor unserer Tür und wartet und klopft und hämmert und ruft und bittet und fleht ...
Und wir? Wir drehen die Musik lauter, stellen den Fernseher an, müssen telefonieren, gehen shoppen, haben viel zu erledigen, die Pflicht ruft, das Kind schreit, der Handwerker hämmert, die Sonne lockt, das Finanzamt droht, der Nachbar bittet ...
So bleibt Gott draußen, bleibt alles beim Alten, und wir können nicht glauben an den Gott, der so viel Leid zulässt und dem wir unsere eigenen Versäumnisse in die Schuhe geschoben haben.
Dumm gelaufen ...
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Foto: congerdesign auf Pixabay.
ja es ist biblisch begründbar, was du schreibst. "Siehe, ich stehe vor der Tür und klopfe an." Offb 3,20. Aber in der Bibel steht vieles. Unmittelbar davor ist die Tonlage schon anders:
"Welche ich lieb habe, die weise ich zurecht und züchtige ich. So sei nun eifrig und tue Buße!" Offb 3,19.
Oder an anderer Stelle im NT: "Verkauft man nicht zwei Sperlinge für einen Groschen? Dennoch fällt keiner von ihnen auf die Erde ohne euren Vater." Mt 10, 29.
Der schöne Psalm 139 lässt einen gewissen Determinismus und Durchgriff Gottes erkennen: "Denn siehe, es ist kein Wort auf meiner Zunge, das du, HERR, nicht alles wüsstest." Ps 139,4.
Gerade im AT werden ganz andere Seiten des ewigen Gottes sichtbar:
"Bete sie nicht an und diene ihnen nicht! Denn ich, der HERR, dein Gott, bin ein eifernder Gott, der die Missetat der Väter heimsucht bis ins dritte und vierte Glied an den Kindern derer, die mich hassen" 2. Mose 20,5.
"Aber diese Stadt und alles, was darin ist, soll dem Bann des HERRN verfallen sein. Nur die Hure Rahab soll am Leben bleiben und alle, die mit ihr im Hause sind; denn sie hat die Boten verborgen, die wir aussandten." Jos 6,17. Bann heißt, wie wir wohl beide wissen, dass alles niedergemetzelt wird, vom Baby bis zum Greis, nach heutigen Begriffen Völkermord.
Bei der Sintflut, beim Auslöschen von Sodom und Gomorrha, beim durch Gott aufgrund einer Wette mit dem Teufel zugelassenen Leiden des Gerechten Hiob, erst recht beim Foltertod seines sündlosen Sohnes gegen dessen Willen, spare ich mir einzelne Bibelstellen.
Selbst viele kirchenloyale Christen haben längst begriffen, dass sich Theologen und Pastoren gern die Bibelstellen heraussuchen, die ihnen gerade ins Konzept passen. Kritiker und Atheisten sowieso.
Und das Vorgehen, einerseits Gott zu loben und zu preisen und regelmäßig den Glauben an seine Allmacht zu bekennen, aber, wenn etwas Schlimmes passiert, die Verantwortung dafür Menschen zuzuweisen, entweder durch eigenes Tun oder unterlassene Hilfeleistung, hat schon etwas von einem Hütchenspielertrick.
Mir ist klar, dass ich mindestens eine gewisse moralische Mitschuld trage an vielem, was passiert, ich lasse mir auch ins Gewissen reden. Aber ich lasse mich sehr ungern für dumm verkaufen.
Tut mir leid, aber das musste ich mal loswerden.
Viele Grüße
Thomas
vielen Dank für deine kritische Stellungnahme. Du benennst zu Recht eine Reihe kritischer, schwer verständlicher Bibelstellen, mit denen sich Glaubende wohl immer schon herumgeplagt haben und bis heute herumplagen. Letztlich stellt sich beim Umgang mit diesen Stellen die Frage, in welchen Rahmen ich sie einordne: Verstehe ich Gott eher als mutwilligen Zerstörer oder eher als gnädigen Bewahrer? Vom Vorverständnis hängt es also ab, wie ich beide Aussagereihen, die vom zerstörenden und die vom bewahrenden Gott, zusammenbringe.
Wenn man Gott vorrangig als mutwilligen Zerstörer versteht, wird man allen Aussagen über sein gnädiges Bewahren die über sein mutwilliges Zerstören entgegenhalten. Daraus kann man verschiedene Schlüsse ziehen: Entweder den, dass man über Gott nichts Sicheres sagen kann, dass wir eigentlich nichts von ihm wissen, oder den, dass die Bibel so widersprüchlich ist, dass wir uns an ihr nicht orientieren können. Evtl. auch den, dass wir das Alte Testament nicht mehr gebrauchen können. In Bezug auf meinen Artikel wird man vielleicht sagen: Nicht der Mensch allein ist für das Elend der Welt verantwortlich, sondern in gleichem Maße Gott. Die Folge solcher Schlüsse könnte sein, dass man an Gott gar nicht mehr glauben kann.
Wenn man Gott vorrangig als gnädigen Bewahrer versteht, wie ich es tue, wird man versuchen, den Aussagen über sein Zerstören etwas "Positives" abzugewinnen und auch aus ihnen noch Gottes Gnade herauszulesen. Die Gefahr dabei ist, das "Negative", das Leid der Menschen nicht ernst zu nehmen und alles mit rosaroter Gnadenfarbe zu überpinseln.
Anders gesagt: Wir lesen die Bibel alle mit einer bestimmten Brille. Die Frage ist nur, welche Brille wir tragen.
Wenn ich die Aussagen über Gottes Zerstören von seinem gnädigen Bewahren her zu verstehen versuche, habe ich mir das nicht willkürlich ausgesucht. Ich lege vielmehr Gottes Erscheinen in Jesus Christus zugrunde, so wie das Neue Testament sie beschreibt. Er ist "das Wort" (Joh 1,1), von dem die biblischen Wörter zeugen. Und in Jesus Christus begegnet mir der gnädige Gott, dem es in seinem Gerichtshandeln (Tempelaustreibung) und seinen Gerichtsworten (z.B. über Schriftgelehrte und israelitische Städte) nicht um Zerstören geht, sondern um Aufbauen – um "Buße", was nichts anderes heißt als die Umkehr der Menschen auf einen Weg, der sie Gott nahebringt und sowohl ihnen selbst als auch ihren Mitmenschen Gutes bringt.
Ich will das gern an einigen von dir genannten Bibelstellen konkretisieren. Offb 3,19 lautet dann in meiner Sicht: "Wen ich liebe, dem sage ich, was für Fehler er hat, und versuche, ihn zu bessern. Nimm es an und kehre um!" (Übertragung Berger/Nord). Oder etwas näher am Text: "Alle, die ich liebe, weise ich zurecht und erziehe sie streng. Mach also ernst und ändere dich" (Basisbibel). Gottes "Züchtigung" ist dann nicht sein wutschnaubendes Draufhauen, sondern sie besteht darin, dass er uns schmerzhafte Erfahrungen machen lässt, die uns zu einer Gesinnungsänderung bewegen.
Etwas schwieriger ist es mit der Sintflutgeschichte. Sie beschreibt Gottes tiefen Kummer über das Ausmaß der menschlichen Bosheit (Gen 6,6), so dass er es bereut, die Menschen geschaffen zu haben und beschließt, alles Lebendige vom Erdboden zu vertilgen. Wir sind uns sicher einig darüber, dass es sich hierbei nicht um einen historischen Bericht handelt, auch wenn Fluterfahrungen, die es in verschiedenen antiken Kulturen gibt, einen historischen Hintergrund bilden mögen. Die Aufnahme aller Tiere in die Arche ist ja nicht historisch vorstellbar. Es geht also nicht um Historie, sondern um prinzipielle Aussagen über des Menschen Bosheit und Gottes Handlungsoptionen.
Man hat Überflutungen im alten Israel nicht einfach als Naturereignisse verstanden, sondern mit Gott in Verbindung gebracht und als Gericht Gottes über die verdorbene Menschheit gedeutet. Gott hat also die Möglichkeit, die Menschheit und alles Leben aufgrund der abgrundtiefen menschlichen Bosheit zu vernichten. Der Clou der Sintflutgeschichte ist nun aber, dass Gott gerade dies nicht tut, sondern Noah plus Tierwelt überleben lässt und am Ende sogar seine Reue bereut: In Zukunft wird ein solches Unheil nicht mehr über die Erde kommen (Gen 8,21f).
Nun kann man natürlich fragen, was das all den in den Fluten ersoffenen Menschen nützt. Aber die Geschichte ist eben kein historischer Bericht. Es gab und gibt zwar immer wieder Fluten (bis in unsere Tage!), und wir fragen mit Recht, warum Gott das zulässt – eine Frage, auf die wir keine Antwort haben. Allerdings gibt es ja, das wissen wir heute, auch Fluten, die menschengemacht sind. Und diese Fluten könnten ja schon ein Wink mit dem Zaunpfahl sein, unser Verhalten endlich zu ändern – also umzukehren.
Vielleicht lässt uns diese Geschichte und auch die von der Zerstörung Sodoms und Gomorrhas ja bedenken, dass unser Leben in Gottes Hand liegt und es aufgrund unserer Verdorbenheit gar nicht selbstverständlich ist, dass wir noch am leben sind, dass es vielmehr eine Gnade ist, dass wir leben dürfen. Der Mensch hat kein prinzipielles Recht auf Leben, wie es die säkulare Betrachtung, die von Sünde und Gnade nichts weiß, verstehen muss, sondern er ist zum Leben begnadigt.
Ich glaube übrigens nicht, dass Gott Sodom und Gomorrha zerstörungswütig vernichtet hat, sondern dass, wenn die Vernichtung historisch sein sollte, der Verringerung von Leid und Elend diente – vielleicht entsprechend der Vernichtung des Hitler-Staates, die ebenfalls der Grausamkeit ein Ende machte.
So könnte ich weitermachen auch mit den anderen von dir genannten Bibeltexten. Ex 20,5 sollte man z.B. nicht ohne den folgenden Vers 6 lesen. Nur dann wird ein gewaltiges Ungleichgewicht zwischen Gottes Gerichtshandeln und seiner Gnade deutlich. Das "Heimsuchen" in Vers 5 kann man auch im Sinne der Folgen der Sünden der "Väter" verstehen, von denen wir heute ja auch wissen, dass sie mehrere nachfolgende Generationen betreffen können.
Zum "Bann" könnte man sagen, dass er wahrscheinlich nie vollstreckt wurde, jedenfalls die Aufforderung dazu in Dtn 20,16-18 erst 500 Jahre nach der sog. Landnahme, also der Einwanderung in das Land Kanaan, formuliert wurde. Wie dem auch sei, ich würde diese gewaltverherrlichenden Texte jedenfalls von Jesu Person, seinen Worten und Taten, her relativieren bzw. der Kritik der Schrift an der Schrift unterwerfen.
Vielleicht klingt das für dich alles einseitig und harmonisierend. Aber ich denke, wir müssen uns um ein Verständnis der Schrift bemühen, das auch mit den widersprüchlichen und für uns schwierigen Aussagen umgeht. Ein genaues Lesen und Einordnen der Texte in ihren historischen Zusammenhang sowie eine Schriftkritik durch die Schrift selbst scheint mir dabei ein gangbarer Weg. Es bei einem ständigen Hinterfragen der einen Schriftstellen durch die anderen zu belassen, also nur die (scheinbaren) Widersprüche herauszustellen und nicht nach einem Ausgleich zu suchen, stellt in fast fundamentalistischer Weise nur einzelne Worte gegenüber, ohne sie von den anderen Worten und dem Zentrum der Schrift her zu interpretieren. Das hilft meiner Meinnung nach nicht weiter, sondern erschwert einen an der Schrift orientierten Glauben unnötig oder macht ihn sogar unmöglich.
Viele Grüße
Klaus
das erinnert mich an den TV Serie "Ein Engel auf Erden", wenn die Menschen über das Leid klagen: Wo ist Gott gewesen? Und der Engel immer mit der Gegenfrage antwortet: Wo waren die Menschen???? Der Gott der uns liebt ... leistet Hilfe Gott zu lieben ... leistet Hilfe den Mitmenschen zu lieben ... sich endlich mal wahrhaftig sich selbst zu lieben, aber selbstlos.
Übrigens toller Artikel ... ein Artikel der zeigt wie weitreichend unsere Verantwortung als Mensch ist, dass wir unsere Persönlichkeitsentwicklung im Bilde Gottes, im Bilde der Liebe vorantreiben ...
um bei einem deiner Gedanken einzuhaken: ja, das klingt für mich alles in der Tat zu einseitig und harmonisierend. Die Bibel als Ganzes ist für mich eine Sammlung von Glaubenszeugnissen ganz unterschiedlicher Menschen zu ganz unterschiedlichen Zeiten. Sie bringt mich permanent in meiner persönlichen Glaubensentwicklung weiter. Ich bin sehr dankbar, dass ich sie selber lesen kann und nicht von vornherein auf Auslegungen angewiesen bin.
Auch die Auswahl des biblischen Kanons und die Anordnung der einzelnen Bücher ist bereits eine theologische Einflussnahme. Aber in dem Zustand, in dem ich sie heute vorfinde, sehe ich einerseits eine gewisse Entwicklung vom Alten zum Neuen Testament und auch innerhalb des Alten Testaments (in geringerem Maße auch innerhalb des NTs), andererseits aber eine sehr sperrige Sammlung, bei der jede (!) Verallgemeinerung von vornherein zum Scheitern verurteilt ist. Dogmatik mag sinnvoll sein, um zumindest eine gewisse Ordnung zu herauszuarbeiten, aber mehr ist letztlich nicht drin.
Die Theodizeefrage, die ja in deinem Blogartikel auch anklingt, bringt für mich auch nur bestimmte Dogmen und Verallgemeinerungen (Gott ist allmächtig und allgütig zugleich) anhand ihrer immer wieder festzustellenden offensichtlichen Kollision mit der Wirklichkeit zu Fall, nicht aber den Glauben an Gott an sich.
Viele Grüße
Thomas
in der Tat ist die Bibel eine sperrige Sammlung unterschiedlichster Schriften, entstanden in etwa einem Jahrtausend. Dass es bei der Auslegung dieser Schriften nicht um Verallgemeinerungen gehen kann, ist offensichtlich. Man wird vielmehr mit Vielfalt und (manchmal auch nur scheinbaren) Widersprüchlichkeiten umgehen müssen. Jede Einebnung der Vielfalt und der Spannungen nimmt den Texten ihre Spitze. Denn Gott ist nun mal nicht auf ein dogmatisches Prinzip oder eine rationale Weltanschauung reduzierbar. Daran zu erinnern, wie du es tust, ist wichtig.
Dennoch werden wir wohl nicht umhin kommen, die Schrift auch als Ganze wahrzunehmen und uns Vorstellungen von Gott zu machen. Ist Gott gnädig oder nachtragend, liebevoll oder zornig, vertrauenswürdig oder untreu? Die Fragen wollen beantwortet werden, wenn wir nicht an einem widersprüchlichen und schließlich nichtssagenden Gottesbild hängenbleiben wollen. Deshalb ist es notwendig, die Aussagen über Gott in ihrem Spannungsreichtum und ihrer Vielfalt wahrzunehmen und nicht unzulässig zu harmonisieren. Das versuche ich.
Einige Hinweise zu Auslegungsmöglichkeiten habe ich oben schon gegeben. Auch die Begriffe "Allmacht" und "Allgüte" würde ich in ihrem Spannungsreichtum interpretieren. Allmacht heißt für mich nicht, dass Gott alles macht, was geschieht, sondern dass er mit und trotz allem, was geschieht, sein "Reich" in dieser Welt baut, indem er sich machtvoll durchsetzt oder sich uns entzieht oder auch sich leidend an uns hingibt, gerade so aber sein Reich baut. Und Allgüte heißt nicht, dass alles, was Gott tut, von unserem Begriff von Güte her zu verstehen ist, sondern dass seine Güte unser Verstehen oft genug übersteigt, so dass wir sie gar nicht als Güte wahrnehmen, sondern mitunter sogar als ihr Gegenteil: als Bosheit, wobei sie aber dennoch seine Güte bleibt.
Ich denke, durch solche Denk- und Auslegungsarbeit kann man den biblischen Texten ihren Spannungsreichtum und ihre Vielfalt belassen, ohne sie auf eine Begrifflichkeit zu reduzieren, die den Systematisierungsversuchen des Verstandes und dem Harmoniebedürfnis des Glaubens entgegenkommt.
Viele Grüße
Klaus