Die am stärksten unterschätzte Macht
Klaus Straßburg | 24/02/2022
Wieder einmal zeigt der Mensch sein hässlichstes Gesicht. Vor aller Welt werden Hunderte, vielleicht Tausende hingemordet, angeblich um einer guten Sache willen. Die Welt schaut zu, betroffen und ohnmächtig.
Es fällt schwer, das „normale Leben" weiterzuleben in dem Bewusstsein, dass gut tausend Kilometer weiter östlich unschuldige Menschen von einem machtversessenen Autokraten dahingerafft werden. Und doch muss unser Leben weitergehen.
Man möchte helfen – aber wie? In den Krieg einzugreifen würde einen Weltkrieg heraufbeschwören. Das kann niemand wollen. Würden Waffenlieferungen helfen, wie manche es jetzt fordern? Sie würden doch wohl das Sterben nur verlängern, ohne die Ukraine vor der Niederlage retten zu können.
Einmal mehr erkennen wir, dass wir manchmal nur die Wahl zwischen Schuld und Schuld haben. Nicht militärisch einzugreifen überlässt die Ukrainer ihrem Schicksal. Militärisch einzugreifen würde einen großen, wahrscheinlich atomaren Krieg zur Folge haben. So bleibt uns nur, Schuld auf uns zu nehmen und von Vergebung zu leben.
Auch Wirtschaftssanktionen werden den Krieg nicht beenden. Sie sind das machtlose Mittel derer, die sich einen Rest Vernunft bewahrt haben und vor einem Weltkrieg zurückschrecken.
Aber es gibt dennoch etwas, was wir tun können. Die meisten Menschen werden es für unnütz halten. Sie sehen nur die menschliche Macht oder Ohnmacht. Es gibt aber eine Macht, die sich aus der Ohnmacht erhebt. Die gerade in ihrer Ohnmacht mächtig ist.
Wie Jesu Macht in all seiner Ohnmacht darin bestand, seinem himmlischen Vater gehorsam zu bleiben und an seiner Liebe zu allen Menschen festzuhalten, so besteht auch unsere Macht darin, Gott zu vertrauen und unsere Liebe zu allen Menschen nicht abtöten zu lassen. Gott zu vertrauen heißt: das Schicksal der Ukrainer in seine Hände zu legen und um baldigen Frieden zu flehen. Die Liebe zu allen Menschen nicht abtöten zu lassen heißt: einen großen oder langen Krieg, der noch mehr Leid brächte, zu vermeiden.
Das Gebet ist die am stärksten unterschätzte Macht, die Menschen haben. Wir haben einen Gott, der sich erweichen lässt. Der das Elend sieht und die Tränen zählt. Der darauf wartet, dass wir mit unseren Gebeten und unserer Liebe für die jetzt Leidenden eintreten.
So kann sich aus der Ohnmacht die Macht erheben. Auf dem Angreifer liegt kein Segen. Er mag sich groß fühlen und ist doch ein Nichts vor Gott. Den Angegriffenen ist damit in ihrem Leid nicht unmittelbar geholfen. Aber auch ihnen kann, so Gott will, aus Leid und Tod Freude und Leben werden.
In einer Welt der Sünde und des Todes ersteht das Gute oft nur im Durchgang durch Not und Tod. Das ist unser aller Schicksal. Doch dahinter tut sich die Macht des Gottes auf, der bei den Schwachen, Leidenden und Sterbenden ist, auf dass sie sich ihrer Stärke mit Gott an ihrer Seite bewusst werden. Er wird denen, die ihn bitten, beistehen – jetzt oder dereinst, wenn Leid und Tod endgültig besiegt sein werden.
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